PROLOG
Liebe Leserin,
lieber Leser!
Nachdem es uns nicht möglich ist, direkt mit Ihnen
allen persönlich zu sprechen, tun wir es über dieses Manifest.
Wir hoffen, dass Sie von dessen Inhalt unvoreingenommen Kenntnis nehmen
werden und dass dies in Ihnen etwas auszulösen vermag, und sei es
lediglich einen Impuls. Es liegt nicht in unserer Absicht, Sie von der
Berechtigung dieser Positio zu überzeugen, wir wünschen vielmehr,
dass Sie diese ungezwungen mitempfinden können. Natürlich hoffen
wir, dass sie in Ihrer Seele ein wohlklingendes Echo finden wird. Andernfalls
möchten wir Sie um Ihre Nachsicht ersuchen.
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Im Jahre 1623 schlugen Rosenkreuzer an die Häuser in
Paris Plakate an, welche sowohl geheimnisvoll anmuteten als auch die Neugierde
weckten. Hier die Wiedergabe des Textes:
"Wir, Abgeordnete des obersten Kollegiums vom Rosenkreuz,
halten uns sichtbar und unsichtbar in dieser Stadt auf, und dies von Gnaden
des Allmächtigen. Zu Ihm wendet sich das Herz der Gerechten. Wir
zeigen und unterrichten es, wie man ohne Bücher und Zeichen in allen
möglichen Sprachen in den Ländern spricht, in denen wir uns
zeigen wollen, um die Menschen dort, die unsere Nächsten sind, vor
Irrtum und Tod zu bewahren.
Sollte einer die Lust verspüren, aus reiner Neugierde zu uns zu kommen,
wird es ihm nie gelingen, mit uns in Verbindung zu treten. Wenn ihn aber
der eigene Wille wahrhaftig veranlasst, sich im Register unserer Fraternität
einzutragen, werden wir ihn die Wahrheit unserer Versprechungen sehen
lassen, denn wir verstehen es, die Gedanken der anderen zu beurteilen,
so dass wir uns wahrhaftig nicht veranlasst sehen, Wohnsitz in dieser
Stadt zu nehmen, weil die mit einem wirklichen Wollen verknüpften
Gedanken des Lesers schon die Kraft haben, uns ihm gegenüber bekannt
zu machen und auch die Kraft, ihn uns gegenüber bekannt zu machen."
Schon ein paar Jahre zuvor hatten die Rosenkreuzer von sich
reden gemacht, als sie mit drei seither berühmten Manifesten an die
Öffentlichkeit traten: der Fama Fraternitatis (1614), der Confessio
Fraternitatis (1615) und der Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreutz
(1616). Diese drei Schriften riefen zur damaligen Zeit zahlreiche Reaktionen
aus Kreisen der Intellektuellen, aber auch aus den Reihen politischer
und religiöser Autoritäten hervor. Zwischen 1614 und 1620 wurden
rund 400 Pamphlete, Manuskripte und Bücher veröffentlicht, einige
in Form von Lobreden, andere als Schmähschriften. Wie dem auch sei,
das Erscheinen der Rosenkreuzer-Manifeste stellt ein beachtliches historisches
Ereignis dar, besonders in der Welt der Esoterik.
Die Fama Fraternitatis richtet sich an die politischen
und religiösen Häupter, Stände und Gelehrten Europae. Sie
zeichnet ein eher düsteres Bild von der allgemeinen Lage dieser Epoche.
Sie enthüllt die Existenz des Ordens vom Rosenkreuz unter Zuhilfenahme
der allegorischen Geschichte des Christian Rosencreutz (1378 - 1484),
ausgehend von seiner ereignisreichen Reise durch die Welt, über das
Ins-Leben-Rufen der Rosenkreuzer-Bruderschaft bis hin zur Entdeckung seiner
Grabstätte. Dieses Manifest ruft zu einer allgemeinen Generalreformation
auf.
Die Confessio Fraternitatis ergänzt einerseits
das erste Manifest darin, dass sie die Notwendigkeit für den Menschen
und die Gesellschaft unterstreicht, eine Regeneration in die Wege zu leiten,
und andererseits hervorhebt, dass die Fraternität der Rosenkreuzer
im Besitz einer philosophischen Wissenschaft ist, die es ermöglicht,
diese Regeneration durchzuführen. Damit richtet sich dieses zweite
Manifest vor allem an bereitwillige Sucher, die vom Wunsch beseelt sind,
an der Arbeit des Ordens teilzunehmen, um so zum Wohle der Menschheit
beizutragen. Der prophetische Gesichtspunkt dieses Textes weckte vor allem
die Neugier vieler Gelehrter jener Epoche.
Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz ist
entgegen den beiden ersten Manifesten in einem anderen Stil abgefasst
und berichtet ausführlich über einen Einweihungsweg auf der
Suche nach Erleuchtung. Die Reise führt in sieben Tagen großenteils
durch ein geheimnisvolles Schloss, in welchem Hochzeitsfeierlichkeiten
eines Königs und einer Königin zelebriert werden. Auf symbolische
Art berichtet die Chymische Hochzeit ausführlich vom tastenden Voranschreiten,
das jeden Initianten zur spirituellen Vereinigung seiner Seele (der Braut)
mit Gott (dem Bräutigam) führt.
Wie zeitgenössische Historiker, Denker und Philosophen
betont haben, stellt die Veröffentlichung dieser drei Manifeste alles
andere als harmlose und ungeeignete Publikationen dar. Sie erschienen
in einer Zeit, in der Europa eine Existenzkrise durchzustehen hatte. Politisch
zerrüttet, zerfleischte es sich in wirtschaftlichen Interessenkonflikten;
Religionskriege streuten Saat von Unheil und Trostlosigkeit bis zum heimischen
Herd; die Wissenschaft schwang sich auf und gab sich eine materialistische
Ausrichtung; die Lebensbedingungen waren für die meisten Menschen
erbärmlich. Die ganze Gesellschaft war zu dieser Zeit im Umbruch,
aber es mangelte ihr an Anhaltspunkten, um sich im Sinne des allgemeinen
Interesses zu entwickeln.
Die Geschichte wiederholt sich und setzt immer wieder gleichartige
Ereignisse in Szene, aber auf einer ausgedehnteren Ebene. Fast vier Jahrhunderte
nach der Veröffentlichung der drei ersten Manifeste stellen wir schon
wieder fest, dass die ganze Erde, nicht mehr nur Europa, mit einer noch
nie da gewesenen Existenzkrise konfrontiert wird, und zwar auf allen Gebieten
wie Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Religion, Moral, Kunst
usw. Und so ist unser Planet, das heißt unser Lebens- und Entwicklungsrahmen,
schwer bedroht, was auch die wachsende Bedeutung einer relativ jungen
Wissenschaft unterstreicht, nämlich der Ökologie. Gewiss, der
heutigen Menschheit geht es nicht gut. Aus diesem Grunde haben wir, die
Rosenkreuzer der gegenwärtigen Zeit, es getreu unserer Tradition
und unserem Ideal für notwendig erachtet, auf dem Weg dieser Positio
uns zu erkennen zu geben.
Die Positio Fraternitatis Rosae Crucis ist keine
Abhandlung von den letzten Dingen. In keiner Weise ist sie apokalyptisch
ausgerichtet. Wie schon erwähnt, ist es ihr Ziel, unsere Einstellung
im Hinblick auf den Stand der gegenwärtigen Welt wiederzugeben und
das hervorzuheben, was uns mit Besorgnis erfüllt im Hinblick auf
ihre Zukunft. Wie schon unseren Brüdern in der Vergangenheit, liegt
es auch uns am Herzen, zu vermehrtem Humanismus und verstärkter Spiritualität
aufzurufen, denn davon sind wir überzeugt, dass der in der modernen
Gesellschaft zur Zeit vorherrschende Individualismus und Materialismus
nicht dazu angetan ist, den Menschen das Glück zu verschaffen, nach
dem sie mit Recht streben. Diese Positio wird bei gewissen Lesern zweifellos
eine beunruhigende Wirkung hervorrufen, doch gibt es bekanntlich keinen
schlimmeren Tauben, als den, der nicht hören will und auch keinen
schlimmeren Blinden, als den, der nicht sehen will.
Die Menschheit ist heutzutage verwirrt und fassungslos.
Die immensen Fortschritte, die ihr auf materieller Ebene gelungen sind,
haben sie nicht wirklich glücklich gemacht und gestatten es ihr nicht,
heiter in die Zukunft zu blicken, denn sie vergegenwärtigt sich Kriege,
Hungersnöte, Epidemien, Naturkatastrophen, Gesellschaftskrisen, Beraubung
elementarster Freiheitsgebote, alles Geißeln, welche der Hoffnung
spotten, die der Mensch in seine Zukunft gesetzt hatte. Dies ist der Grund,
dass wir diese Botschaft an den geneigten Zuhörer richten, der bereit
ist, sie aufzunehmen. Sie entspringt dem gleichen Geist, dem auch die
drei Manifeste der Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts entstammen, doch
um sie zu verstehen, ist man angehalten, mit Wirklichkeitssinn im großen
Buch der Geschichte zu lesen und einen ungetrübten Blick auf die
Menschheit zu werfen, dieses großartige Bauwerk, das Männer
und Frauen auf ihrem Entwicklungsweg geschaffen haben.
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Positio R + C
Der Mensch entwickelt sich im Laufe der Zeit, ebenso wie
alles andere, was an seinem Leben Anteil hat, das Universum selbst mit
eingeschlossen. Hier handelt es sich um ein Charakteristikum, das alles
prägt, was in der manifest gewordenen Welt existiert. Wir denken
aber, dass sich die menschliche Entwicklung nicht auf materielle Aspekte
seiner Existenz beschränkt, denn wir sind davon überzeugt, dass
der Mensch eine Seele besitzt, mit anderen Worten: eine spirituelle Dimension.
Nach unserer Ansicht ist es die Seele, die aus dem Menschen ein bewusstes
Wesen macht, das fähig ist, zu überlegen und über seinen
Ursprung und sein Schicksal nachzudenken. Aus diesem Grund betrachten
wir die Entwicklung der Menschheit als Absicht, die Spiritualität
als Mittel und die Zeit als Offenbarer.
Geschichte wird nicht so sehr durch die Ereignisse verständlich,
die sie erzeugen oder welche sie selber hervorruft, als vielmehr durch
die Bande, welche diese Ereignisse miteinander verbinden. Dazu kommt,
dass sie einen Sinn hat, was die meisten Historiker heutzutage gerne einräumen.
Um Geschichte zu begreifen, sind deren Ereignisse gewiss als isolierte
Elemente in Betracht zu ziehen, dann aber auch, und dies im Besonderen,
als Teile eines Ganzen zu werten. Wir sind der Ansicht, dass einem einzelnen
Geschehen nur dann geschichtlicher Wert zukommt, wenn man es in Beziehung
zum Gesamten setzt, dem es angehört. Das Trennen der beiden, um eine
historische Moral aus ihrem Getrenntsein abzuleiten, heißt, einen
intellektuellen Schwindel begehen. Das Ganze aber lässt erkennen,
dass es eine Mitte gibt, ein Nebeneinander, eine Gleichzeitigkeit und
ein Zusammenwirken, und die hat mit Zufall nichts gemein.
Wie im Prolog bereits erwähnt, erkennen wir eine Ähnlichkeit
zwischen der derzeitigen Weltlage und der Lage im Europa des 17. Jahrhunderts.
Das, was man heute schon als Post-Moderne bezeichnet, hat in zahlreichen
Bereichen vergleichbare Wirkungen ausgelöst, die unglücklicherweise
dazu führten, eine gewisse Degeneration der Menschheit in die Wege
zu leiten. Doch wir denken, dass diese um sich greifende Zerfallserscheinung
nur vorübergehend ist und schließlich zu einer individuellen
und kollektiven Regeneration führen wird - dies allerdings nur unter
der Voraussetzung, dass sich die Menschen dazu entschließen, ihrer
Zukunft eine humanistische und spiritualistische Ausrichtung zu geben.
Sollten sie dies unterlassen, werden sie sich mit noch schwerwiegenderen
Problemen konfrontiert sehen, als das gegenwärtig schon der Fall
ist.
Gestützt auf unsere Seinslehre, betrachten wir den Menschen als das
am weitesten entwickelte Geschöpf unter allen Lebewesen auf der Erde,
ungeachtet seines zuweilen unwürdigen Verhaltens im Hinblick auf
diesen Status. Wenn der Mensch diese privilegierte Stellung einnimmt,
so deshalb, weil er Selbstbewusstsein und freien Willen besitzt. Er besitzt
also die Gabe, zu denken und seine Existenz nach eigenem Belieben auszurichten.
Wir glauben auch, dass jeder einzelne Mensch eine grundlegende Zelle ein
und desselben Körpers ist, nämlich desjenigen der gesamten Menschheit.
Gestützt auf dieses Prinzip, beruht unser Verständnis vom Humanismus
auf der Ansicht, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollen,
wozu auch das Anrecht auf Respekt und das Anrecht auf gleiche Freiheiten
gehören, und dies alles ungeachtet des Landes, in dem man geboren
wurde und desjenigen, in dem man lebt.
Was unsere Anschauung über die Spiritualität
anbelangt, gründet diese in der Überzeugung, dass es Gott als
absolute Intelligenz gibt, die das Universum und alles darin erschaffen
hat, und in der Gewissheit, dass der Mensch eine Seele besitzt, die von
Gott kommt. Dazu vertreten wir die Ansicht, dass sich Gott in der ganzen
Schöpfung über Gesetz und Ordnung manifestiert, die der Mensch
studieren soll, um sie zu seinem eigenen Wohlergehen zu verstehen und
zu respektieren. Wir vertreten in der Tat den Standpunkt, dass die Menschheit
zu einem Verstehen des göttlichen Planes hin wächst und dass
ihr die Aufgabe obliegt, auf Erden eine ideale Gesellschaft zu begründen.
Dieser spiritualisierte Humanismus kann utopisch erscheinen, doch verbinden
wir uns hier mit Platon, der in seiner "Republik" sagt: Die
Utopie ist die ideale Gesellschaftsform. Vielleicht ist sie auf Erden
nicht realisierbar, trotzdem soll ein Weiser sein ganzes Hoffen in sie
setzen.
An diesem Wendepunkt der Geschichte scheint uns die Regeneration der Menschheit
mehr denn je möglich zu sein aufgrund der gegenseitigen Annäherung
der menschlichen Bewusstseinsebenen, der Verallgemeinerung des internationalen
Austausches, der Ausdehnung der kulturellen Vermischung, der weltüberspannenden
Informations-Übermittlung und dem heute stattfindenden interdisziplinären
Austausch zwischen den verschiedenen Wissensgebieten. Wir sind aber davon
überzeugt, dass diese Wiedergeburt, die sich sowohl auf individueller
als auch auf kollektiver Ebene vollziehen muss, nur stattfinden kann,
wenn man die kulturelle Vielfalt mit Hilfe der Toleranz unterstützt.
In der Tat ist keine politische Einrichtung, keine Religion, keine Philosophie,
keine Wissenschaft im Besitz des Monopols der Wahrheit. Das heißt,
dass man nur zum Ziel gelangt, wenn man all das zusammenfügt, was
diese Wissensgebiete dem Menschen an Edelstem zu bieten haben. Das bedeutet
das Erkennen der Einheit in der Vielheit.
Früher oder später werden die Schicksalsschläge im Leben
den Menschen dahin führen, dass er sich die Frage nach dem Sinn seines
Daseins auf Erden stellt. Dieses Nachforschen nach einer Begründung
ist ganz natürlich, denn es ist Ausdruck eines wesentlichen Verlangens
der menschlichen Seele und bildet die Grundlage seiner Entwicklung. Im
Übrigen rechtfertigen sich die Ereignisse im Verlauf der Geschichte
nicht durch die alleinige Tatsache, dass es sie gibt, vielmehr sind sie
die Folge einer Ursache, die außerhalb ihrer selbst liegt. Wir denken,
dass diese Ursache in einen spirituellen Entwicklungsprozess eingebettet
ist, der den Menschen anregen will, in sich zu gehen, um zu erfahren,
was denn das Mysterium des Lebens ist. Daraus erwacht dann eines Tages
in ihm das Interesse an Mystik und die Suche nach der Wahrheit. Dieses
Forschen ist ganz natürlich und wir fügen dem noch hinzu, dass
der Mensch von einem Hoffen und einem Optimismus beflügelt wird,
die von einem inneren Drängen seiner göttlichen Natur ausgehen,
verbunden mit einem biologischen Überlebensinstinkt. So betrachtet,
scheint das sehnende Streben nach geistiger Transzendenz eine lebenswichtige
Forderung der Gattung Mensch zu sein.
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Was nun die Politik anbelangt, so
sind wir der Ansicht, dass diese sich entscheidend erneuern muss. Die
großen Systeme des 20. Jahrhunderts, der Marxismus-Leninismus und
der National-Sozialismus, die den Anspruch erhoben hatten, definitive
soziale Postulate darzustellen, hatten die menschliche Vernunft zurückgedrängt
und zu Barbarei geführt. Der entsprechende Determinismus dieser beiden
totalitären Systeme hatte das natürliche Bedürfnis der
Selbstbestimmung des Menschen in fataler Weise verletzt und so sein Recht
auf Freiheit verräterisch hintergangen, wodurch einige der schwärzesten
Seiten der Geschichte geschrieben wurden. Die Geschichte hat das eine
und das andere Modell ausgeschieden, hoffentlich für immer. Wie man
darüber auch denken mag, haben politische Systeme, die sich auf einen
Monismus eines einzigen Gedanken festlegen, doch oft gemein, dass sie
dem Menschen eine "Heilsdoktrin" aufzwängen, und das mit
der Absicht, ihn aus seinem unvollkommenen Zustand zu erlösen und
in einen so genannten "paradiesischen" Zustand zu heben. Dazu
kommt, dass die meisten dieser Systeme den Bürger nicht zum Nachdenken
auffordern, sondern zum Glauben; er soll vielmehr an die Sache glauben,
was diese Systeme dann mit "religiösen Laienständen"
verwandt macht.
Im Gegensatz dazu sind Gedankengänge wie die des Rosenkreuzertums
nicht monologisch, sondern dialogisch und pluralistisch. Dadurch stimulieren
sie den Einzelnen, in Dialog mit anderen zu treten, und unterstützen
die Pflege menschlicher Beziehungen. Sie erkennen die Vielseitigkeit der
Ansichten und die Verschiedenartigkeit des Verhaltens an. Strömungen
dieser Art finden ihre Nahrung im Austausch, in der Wechselwirkung und
selbst im Widerspruch, etwas, was totalitäre Ideologien strikt verbieten.
Dies ist übrigens der Grund, warum totalitäre Systeme, welcher
Art auch immer, rosenkreuzerisches Denken stets bekämpft haben. Seit
seinem Ursprung rühmt sich das Rosenkreuzertum des Rechts, sich seine
Ansichten selbständig zu bilden und seine Ideen frei zu äußern.
In dieser Beziehung sind die Rosenkreuzer keine Freidenker, sondern einfach
freie Denker.
Im gegenwärtigen Zustand der Welt scheint uns die Demokratie
die geeignetste Staatsform zu sein, was natürlich gewisse Schwächen
nicht ausschließt. Nachdem jegliche echte Demokratie auf der Freiheit
der Meinungsbildung und ihres Ausdrucks gründet, bilden sich im Allgemeinen
eine Vielzahl von Tendenzen bei den Regierenden und den Regierten heraus.
Diese Pluralität kann immer wieder zu Spannungen mit all ihren Konfliktrisiken
führen. Daher sind die meisten demokratischen Staaten politisch gespalten,
und deren Vertreter liegen sich kontinuierlich und fast systematisch in
den Haaren. Diese politischen Spaltungserscheinungen kreisen meistens
um eine Mehrheit und eine Opposition, was uns in einer modernen Gesellschaft
nicht mehr zeitgemäß dünkt, weil es die Regeneration der
Menschheit aufhält. Das für jede Nation hier anzustrebende Ideal
wäre die Bildung einer Regierung, in der alle vorhandenen Tendenzen
vereinigt wären und in der die fähigsten Persönlichkeiten
die Staatsgeschäfte zu führen hätten. In Ausweitung dieses
Gedankens wünschen wir uns, dass es eines Tages eine repräsentative
Weltregierung aller Nationen geben wird, gegenüber der die UNO lediglich
ein Embryo wäre.
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Zum Wirtschaftssystem meinen wir,
dass sich dasselbe immer mehr verzweigt. Jedermann kann feststellen, dass
es die Aktivitäten der Menschheit mehr und mehr beeinflusst und immer
maßgebender wird. Gegenwärtig nimmt es strukturierte Netzformen
an und wird immer einflussreicher, also dirigistischer, im Gegensatz zum
äußeren Schein. Andererseits funktioniert es mehr denn je unter
Vorgabe messbarer, vorgeschriebener Werte, wie Produktionskosten, Rentabilitätsschwelle,
Gewinnmaximierung, Arbeitszeit usw. Diese Wertfaktoren sind wesenseins
mit dem derzeitigen Wirtschaftssystem und schreiben ihm die Vorgehensweise
vor, um das anvisierte Ziel zu erreichen. Unglücklicherweise sind
diese Vorgaben ausschließlich materialistisch, weil sie einseitig
auf Rentabilität und uferloser Bereicherung fußen. Und so ist
man dazu gekommen, den Menschen in den Dienst der Wirtschaft zu stellen,
während es doch die Wirtschaft ist, die dem Menschen dienen sollte.
In unserer Zeit sind alle Nationen zu Tributpflichtigen
einer Weltwirtschaft geworden, die man als "totalitär"
bezeichnen kann. Dieser wirtschaftliche Totalitarismus vermag es nicht
zu verhindern, dass Hunderte von Millionen Menschen unter den elementarsten
Notwendigkeiten leiden, während die weltweit zirkulierenden Geldmassen
noch nie so enorm waren. Dies zeigt, dass der von Menschen erzeugte Reichtum
nur einer kleinen Minderheit zugute kommt, was wir beklagen.
Tatsächlich stellen wir fest, dass die Schere zwischen
den reichsten Ländern und den ärmsten Ländern immer weiter
auseinander klafft. Das gleiche Phänomen zwischen den Ärmsten
und den Wohlhabendsten kann in jedem Land festgestellt werden. Wir denken,
dass dies auch daran liegt, weil die Wirtschaft zu spekulativ geworden
ist und Märkte und Interessen versorgt, die eher virtuell als real
vorhanden sind. Offensichtlich wird die Wirtschaft erst dann ihre Rolle
erfüllen können, wenn sie in den Dienst aller Menschen gestellt
wird. Dies setzt voraus, dass man darauf achtet, das Geld dafür zu
verwenden, wofür es bestimmt ist, nämlich als Tauschmittel und
Energie mit dem Zweck, dass sich jedermann das verschaffen kann, was er
benötigt, um auf der materiellen Ebene glücklich zu leben. Wir
sind davon überzeugt, dass es dem Menschen nicht bestimmt ist, arm
zu leben, und noch weniger, unter Armut zu leiden, sondern ganz im Gegenteil,
dass er über das verfügen kann, was zu seinem Wohlsein beiträgt,
damit er seine Seele in aller Ruhe zu höheren Bewusstseinsebenen
erheben kann. Letztlich sollte die Wirtschaft dazu eingesetzt werden,
dass es keine Armut mehr gibt und jeder Mensch in guten materiellen Verhältnissen
leben kann, denn dies ist die Grundlage für menschliche Würde.
Die Armut ist kein Schicksal, sie ist auch keine Auswirkung göttlicher
Bestimmung. Ganz allgemein ist sie eine Folge des Egoismus der Menschen.
So hoffen wir, dass die Wirtschaft eines Tages auf einer gerechten Teilung
der Güter unter Berücksichtigung des Wohles aller basieren wird.
Dessen ungeachtet sind die Bodenschätze nicht unerschöpflich
und können nicht auf ewige Zeiten gefördert, verarbeitet und
aufgeteilt werden, so dass besonders in den überbevölkerten
Ländern eine Geburtenregelung ins Auge gefasst werden muss.
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Was die Wissenschaft anbelangt,
denken wir, dass sie sich in einer besonders heiklen Lage befindet. Gewiss
ist es nicht zu verleugnen, dass sie sich stark entfaltet und der Menschheit
beachtliche Fortschritte ermöglicht hat. Ohne Wissenschaft befänden
sich die Menschen immer noch in der Steinzeit. Aber an dem Punkt, wo die
griechische Zivilisation eine qualitative Vorstellung der wissenschaftlichen
Forschung geprägt hatte, löste das 17. Jahrhundert durch das
Errichten der Vorherrschaft des Quantitativen eine folgenschwere Erschütterung
aus, was nicht ohne Auswirkung auf die Entwicklung der Wirtschaft bleiben
konnte. Der Mechanismus, der Rationalismus, der Positivismus usw. haben
aus Bewusstsein und Materie zwei markante Domänen gemeißelt,
wobei sie alle phänomenalen Erscheinungsformen zu messbaren Gebilden,
jeglicher Subjektivität entblößt, entzaubert hatten. Das
Wie hat das Warum verdrängt. Während die in den vergangenen
Jahrzehnten unternommenen Forschungen zu bedeutenden Entdeckungen geführt
haben, scheint es nun so zu sein, dass finanzielles Gewinnstreben alles
übrige bestimmt.
Mittlerweile haben wir die Spitze des wissenschaftlichen
Materialismus erklommen.
Wir haben uns mehr zu Sklaven der Wissenschaft degradiert, als dass wir
sie unserem Willen untergeordnet hätten. Das kleinste plötzlich
auftretende technologische Versagen ist heutzutage in der Lage, die fortschrittlichste
Gesellschaft in Lebensgefahr zu stürzen. Dies beweist, dass der Mensch
ein Ungleichgewicht zwischen Qualität und Quantität, aber auch
zwischen sich selbst und dem, was er hervorbringt, geschaffen hat. Die
materialistischen Ziele, die er heute über die wissenschaftliche
Forschung anstrebt, haben dazu geführt, seinen Geist zu verwirren.
Parallel dazu haben sie ihn von seiner Seele entfernt und von dem, was
an Göttlichstem in ihm ist. Die maßlose Rationalisierung der
Wissenschaft ist zu einer wirklichen Gefahr geworden, welche die ganze
Menschheit mittel- bis kurzfristig immer mehr bedroht. Tatsächlich
beginnt jede Gesellschaft, in welcher die Materie das Bewusstsein beherrscht,
das am wenigsten Edle in der menschlichen Natur zu entwickeln. Nimmt dies
überhand, wählt sie den Untergang, und das unter äußerst
tragischen Umständen.
Die Wissenschaft ist gewissermaßen zur Religion geworden,
jedoch einer materialistischen Religion, was ja widersinnig ist. Sich
auf eine mechanistische Annäherung an das Universum, die Natur und
den Menschen stützend, hat sie ihr eigenes Credo ("nur glauben,
was sie sieht") und ihr eigenes Dogma ("keine Wahrheit außer
die ihre"). Dann aber merken wir nichtsdestoweniger, dass die Forschungsarbeit,
die sie über das Wie der Dinge durchführt, sie mehr und mehr
dazu bringt, sich über das Warum zu hinterfragen, so dass sie sich
langsam immer mehr ihrer eigenen Grenzen bewusst wird und beginnt, sich
hier der Mystik zu nähern. Einige wenige Wissenschaftler sind sogar
so weit gegangen, die Existenz Gottes als These zu postulieren. Hier ist
festzuhalten, dass sich Wissenschaft und Mystik in der Antike sehr nahe
standen, indem nämlich Wissenschaftler Mystiker waren und umgekehrt.
Es geht nun heute genau darum, diese beiden Erkenntniswege in den kommenden
Jahrzehnten wieder zu vereinen.
Es ist notwendig geworden, die Frage des Wissens neu zu
überdenken. Worin liegt zum Beispiel der wirkliche Sinn der Wiederholbarkeit
eines Experimentes? Ist eine Behauptung, die sich in keiner Weise beweisen
lässt, notgedrungen falsch? Es scheint uns vordringlich, den rationalen
Dualismus zu überwinden, der im 17. Jahrhundert eingeführt wurde.
Denn in dieser Überwindung liegt gerade die wahre Erkenntnis verborgen.
Und so reicht es nicht aus festzustellen, dass man die Existenz Gottes
nicht beweisen könne, um zu behaupten, dass es Ihn nicht gäbe.
Die Wahrheit kann nun einmal verschiedene Gesichter haben. Nur ein einziges
davon im Namen der Rationalität festzuhalten, heißt, die Vernunft
zu beleidigen. Und kann man überhaupt allen Ernstes von "rational"
oder "irrational" sprechen? Ist die Wissenschaft selber rational,
wenn sie an den Zufall glaubt? Es scheint uns in der Tat viel irrationaler,
an ihn zu glauben als nicht an ihn zu glauben. Darauf angesprochen halten
wir fest, dass sich unsere Fraternität immer gegen die allgemeine
Vorstellung des Zufalls zur Wehr gesetzt hat, die sie als den Weg des
leichtesten Widerstands betrachtet und als einen Verzicht, sich der Wirklichkeit
zu stellen. In dem, was als Zufall bezeichnet wird, sehen wir dasselbe,
was Albert Einstein wie folgt ausgedrückt hat: "Es ist der Pfad,
den Gott einschlägt, wenn Er anonym bleiben will."
Die Entwicklung der Wissenschaft verursacht auch neue Probleme
in ethischer und metaphysischer Hinsicht. Wenngleich die genetische Forschung
zweifellos große Fortschritte in der Behandlung zuvor unheilbarer
Krankheiten erzielte, hat dieses neue Wissen gleichzeitig die Tür
geöffnet, hinter der die Manipulation zum Klonen menschlicher Wesen
möglich geworden ist. Diese Art von Zeugung kann nur zur genetischen
Verarmung bis hin zur Entartung der Menschheit führen. Sie lässt
darüber hinaus vermuten, dass unweigerlich von Subjektivität
geprägte Auswahlkriterien zum Zug kommen werden, was dann zu schwerwiegenden
Risiken führt. Darüber hinaus kommen bei der Zeugung durch Klonen
der Spezies Mensch nur physische und materielle Gesichtspunkte zum Tragen,
ohne Geist und Seele dabei zu berücksichtigen. Deshalb betrachten
wir die genetische Manipulation zu Zeugungszwecken als Verletzung der
menschlichen Würde sowie als Verstoß gegen die geistige, psychische
und spirituelle Unversehrtheit des Menschen. In dieser Hinsicht unterschreiben
wir das Sprichwort: "Wissenschaft ohne Vernunft führt nur zum
Ruin der Seele." Das Sich-zu-Eigen-Machen des Menschen durch den
Menschen hinterlässt in der Geschichte nur traurige Erinnerungen.
Wir erachten es also als gefährlich, den Experimenten des reproduktiven
Klonens des menschlichen Wesens im Besonderen und der Lebewesen im Allgemeinen
freien Lauf zu lassen. Wir hegen dieselben Befürchtungen hinsichtlich
Manipulationen, die das Erbgut der Tiere und der Pflanzen berühren.
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Wenn wir uns der Technologie zuwenden,
stellen wir fest, dass auch sie sich in vollem Umbruch befindet. Seit
Urzeiten haben die Menschen sich bemüht, Werkzeuge und später
auch Maschinen herzustellen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und
ihre Tätigkeiten wirkungsvoller zu gestalten.
Auf seiner positiven Seite verfolgte dieses Streben ursprünglich
drei Ziele: 1. Dinge zu verwirklichen, die beim alleinigen Einsatz der
Hände nicht gelangen, 2. Aufwand und Mühe zu reduzieren, 3.
Zeit zu gewinnen. Viele Jahrtausende lang wurde die Technik nur zur Unterstützung
des Menschen in seinen manuellen und physischen Anstrengungen eingesetzt,
während in der gegenwärtigen Zeit die Technologie den Menschen
auch intellektuell entlastet. Am Anfang war Technologie lange Zeit darauf
beschränkt, funktionell rein mechanische Unterstützung zu gewähren.
Und diese erforderte ständig den unmittelbaren Eingriff des Menschen
und hatte somit keinen sehr bedeutenden Einfluss auf die Umwelt. Heutzutage
ist Technologie allgegenwärtig geworden und bildet das Herzstück
der modernen Gesellschaft. Sie ist quasi unentbehrlich geworden. Ihre
Anwendungsgebiete sind vielseitig und umspannen nun komplexe Abläufe
auf den Gebieten der Mechanik, der Elektrizität, der Elektronik,
der Informatik usw. Unglücklicherweise hat jede Medaille ihre Kehrseite
und Maschinen sind jetzt zur Gefahr für den Menschen selbst geworden.
Nachdem sie ursprünglich dazu geschaffen worden waren, ihn zu unterstützen
und zu entlasten, sind sie jetzt in der Lage, ihn zu ersetzen. Man kann
auch nicht abstreiten, dass die sukzessive Entfaltung der Mechanisierung
eine markante Entfremdung menschlicher Beziehungen in der Gesellschaft
mit sich gebracht hat. Zwischenmenschliche Kontakte sind eindeutig verloren
gegangen. Dazu kommen alle Arten von Umweltverschmutzung, welche die Industrialisierung
auf zahlreichen Gebieten hervorgebracht hat.
Das von der Technologie verursachte Problem entstand, weil
sie sich schneller entwickelt hat als das menschliche Bewusstsein dazu
Schritt halten konnte. Wir denken, dass es dringend notwendig ist, dass
die Technologie endlich mit dem derzeitigen Modernismus bricht, um zu
einem Agenten für den Humanismus zu werden. Dazu gehört in erster
Linie, dass der Mensch wieder in die Mitte des sozialen Lebens gestellt
wird, was einschließt, dass die Maschine wieder zu seinen Diensten
eingesetzt wird. Diese Forderung steht in Einklang mit dem, was wir bereits
im Zusammenhang mit der Wirtschaft gesagt haben. Eine derartige Perspektive
macht es notwendig, die materielle Wertschätzung, welche die gegenwärtige
Gesellschaft prägt, komplett zu hinterfragen. Und das bedingt konsequenterweise,
dass alle Menschen wieder zu ihrer eigenen Mitte finden, damit sie verstehen
lernen, dass man der Lebensqualität Vorrang einräumen und mit
dem entfesselten hektischen Lauf gegen die Zeit endlich aufhören
muss. Nun ist so etwas aber nur möglich, wenn die Menschen wieder
lernen, nicht nur mit der Natur, sondern auch mit sich selber in Harmonie
zu leben. Das anzustrebende Ideal wäre, dass sich die Technologie
dahingehend entwickelt, dass sie den Menschen von den mühseligsten
Verrichtungen befreit, damit er Gelegenheit findet, sich im Kontakt mit
anderen Menschen harmonisch zu entfalten.
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Was die großen Religionen betrifft,
denken wir, dass diese zur Zeit von zwei gegensätzlichen Bewegungen
gekennzeichnet sind, nämlich einer zentripetalen und einer zentrifugalen.
Die erste Bewegung drückt sich in radikalen Praktiken aus, die man
aufgrund einer starren Haltung im Kern von Christentum, Judaismus, Islam
und Hinduismus beobachten kann. Die zweite Bewegung drückt sich in
einem Im-Stich-Lassen ihres Credos ganz allgemein und ihrer Dogmen im
Speziellen aus. Das Individuum ist nicht mehr damit einverstanden, am
Rande eines Glaubenssystems, wie dem einer Offenbarungsreligion, gehalten
zu werden. Künftig will es in der Mitte eines Denksystems stehen,
das es in Verbindung zu seinen eigenen Erfahrungen setzt.
Daraus ergibt sich, dass die Bereitschaft, religiöse
Dogmen anzunehmen, nicht mehr als selbstverständlich gilt. Gläubige
haben einen gewissen kritischen Sinn für Religionsfragen entwickelt,
und ihre Überzeugungskraft entspringt je länger, desto mehr
einer Bewertung aus eigenem Antrieb. Dort wo das Verlangen nach Spiritualität
früher einige Religionen hervorgebracht hat, die sich in ihrem soziokulturellen
Boden durch ein kräftiges baumartiges und ihre Erde bereicherndes
Wurzelwerk charakterisiert hatten, lässt dieses geistige Verlangen
heute die Struktur eher wurzelstockartiger Stauden und Sträucher
ohne Form und Zahl entstehen. Doch weht der Geist nicht, wo er will?
Und so erscheinen heutzutage am Rande oder an Stelle großer
Religionen Gruppierungen mit spiritueller Ausrichtung, Gemeinschaften
mit gleichen Ideen oder Bewegungen mit eigenen Gedanken, in deren Innerem
Doktrinen mehr vorgeschlagen als aufgezwungen und so durch freie Wahl
grundsätzlich auch leichter annehmbar werden. Unabhängig von
der spezifischen Natur dieser Gemeinschaften, Gruppierungen und Bewegungen
spiegelt ihre Vielzahl eine schillernde Aufgelockertheit auf dem Pfad
der spirituellen Suche wider. Im Allgemeinen ist diese Vielfalt darauf
zurückzuführen, dass die großen Religionen, die wir als
solche respektieren, nicht mehr das Glaubens-Monopol besitzen. Wenn sie
dieses verloren haben, so deshalb, weil diese Religionen je länger,
je weniger auf Fragestellungen, die den Menschen beschäftigen, eingehen
und ihn innerlich nicht mehr erfüllen. Vielleicht aber auch, weil
sich diese Religionen von der Spiritualität entfernt haben. Nun sucht
die in ihrer Essenz unveränderliche Spiritualität aber ständig
Möglichkeiten, um sich gegenüber der in Entwicklung stehenden
Menschheit Ausdruck zu verschaffen, und zwar über immer besser angepasste
und dafür geeignete Werkzeuge. Das Überleben der großen
Religionen hängt wie nie zuvor davon ab, wie es ihnen gelingt, sich
von den allzu strengen doktrinären Glaubenssätzen und unverrückbaren
Positionen zu lösen, die sie sich im Lauf der Jahrhunderte zugeeignet
haben, und zwar sowohl in moralischer als auch in lehrmäßiger
Hinsicht. Um zu überdauern, müssen sie sich notwendigerweise
der Gesellschaft anpassen. Denn wenn sie weder der Veränderung des
Bewusstseins der Menschen noch dem Stand der heutigen Wissenschaft Rechnung
tragen, was einer Absage an die fortschreitende Entwicklung gleichkäme,
würden sie sich selber dazu verurteilen, früher oder später
zu verschwinden, nicht ohne zuvor noch vermehrt für Zündstoff
auf ethno-sozio-religiöser Ebene zu sorgen. Wir nehmen jedenfalls
an, dass ihr Verschwinden einmal unausweichlich sein wird, dann nämlich,
wenn unter der Wirkung einer weltweiten Vereinigung des menschlichen Bewusstseins
die Geburtsstunde einer Weltreligion eingeläutet wird. Und diese
wird dann das Beste aller bisherigen Religionen in sich aufnehmen, um
dem Menschen seine Regeneration zu ermöglichen. Wir denken auch,
dass das Verlangen, die Gesetze Gottes zu kennen, das heißt die
Gesetze der Natur, des Universums und des Geistes, früher oder später
an oberster Stelle stehen und allein schon genügen wird, um an Gott
zu glauben. In diesem Zusammenhang vertreten wir den Standpunkt, dass
der Glaube eines Tages der Erkenntnis weichen wird.
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Um auf die Moral zu sprechen zu kommen in dem Sinne,
den wir mit diesem zweideutig gewordenen Begriff verbinden, denken wir,
dass diese zunehmend verunglimpft wird. Für uns bezeichnet Moral
nicht blinden Gehorsam gegenüber bestimmten vorgegebenen Regeln oder
gar Dogmen sozialen, religiösen, politischen oder anderen Gepräges.
Heutzutage allerdings begreifen zahlreiche Mitbürger die Moral entsprechend
dieser Vorgabe, weshalb dieser Ausdruck heute verständlicherweise
abgelehnt wird. Wir betrachten Moral vielmehr als etwas, das sich auf
den Respekt bezieht, den jedes Individuum gegenüber sich selbst,
gegenüber anderen und gegenüber der Umwelt bezeugen sollte.
Der Respekt vor sich selbst bedeutet, in Abstimmung mit seinen Ideen zu
leben und sich nicht zu gestatten, einem Verhalten zu frönen, das
man bei anderen ablehnt. Der Respekt anderen gegenüber beruht lediglich
darin, dem Nächsten nicht das anzutun, was man nicht möchte,
dass man es uns antue. Dies haben alle Weisen der Vergangenheit gelehrt.
Was den Respekt der Umwelt gegenüber angeht, sagen wir nicht leichtfertig,
dies sei etwas Selbstverständliches, denn hier geht es schlicht darum,
die Natur zu schützen und sie für zukünftige Generationen
zu erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, fordert Moral eine
Ausgeglichenheit zwischen Recht und Pflicht eines jeden Einzelnen. Und
solches verleiht dem Begriff Moral eine humane Dimension, die nichts Moralisierendes
enthält.Die Moral im Sinne unserer Erklärung macht das schwierige
Problem der Erziehung deutlich, die in Not geraten scheint.
Die meisten Eltern haben hier das Handtuch geworfen, auch weil ihnen
die Leitschnur fehlt, um ihre Kinder richtig zu erziehen. Unter den Eltern
gibt es viele, die diese Verantwortung aufgrund ihres eigenen Versagens
auf die Lehrer ihrer Kinder übertragen. Aber ist die Aufgabe eines
Lehrenden nicht vor allem zu unterrichten, das heißt, seine eigenen
Kenntnisse weiterzugeben? Was andererseits die Erziehung anbelangt, besteht
diese doch hauptsächlich darin, den Zöglingen ethische Werte
und staatsbürgerliche Verantwortung einzuflößen. Hierin
teilen wir die Idee von Sokrates, der in der Erziehung "die Kunst,
die Tugenden der Seele zu erwecken" sah, wie Demut, Herzensgröße,
Ehrlichkeit, Toleranz, Wohlwollen usw. Unabhängig von jeglicher Überlegung
spiritueller Art denken wir, dass dies im Allgemeinen die Tugenden sind,
welche die Erwachsenen den Kindern einprägen sollten. Dies setzt
natürlich voraus, dass die Eltern selber im Besitz dieser Tugenden
sind oder wenigstens das Verlangen empfinden, sich diese zu erarbeiten.
Sicher ist Ihnen bekannt, dass gesagt wurde, die Rosenkreuzer der Vergangenheit
hätten die materielle Alchemie praktiziert, die darin bestand, weniger
edle Metalle als Zinn und Blei in Gold zu verwandeln.
Hierbei wird oft nicht berücksichtigt, dass die wahren Rosenkreuzer
sich in Wirklichkeit der geistigen Alchemie zuwendeten, wenn sie selber
von Alchemie sprachen.
Auch wir Rosenkreuzer der Gegenwart geben dieser Form von Alchemie den
alleinigen Vorrang, denn sie ist es, welche die Welt mehr denn je benötigt.
Geistige Alchemie besteht für das Menschenwesen darin, jeden einzelnen
seiner Fehler ins Gegenteil umzuwandeln, um letztlich diejenigen Tugenden
zu erlangen, auf die wir uns vorhin bezogen haben. Diese Tugenden sind
es auch, welche die eigentliche Würde des Menschen ausmachen, denn
der Mensch ist seiner Stellung nur würdig, wenn es ihm gelingt, diese
Tugenden durch sein Denken, Sprechen und Handeln auszudrücken. Wenn
alle Menschen, ungeachtet ihres religiösen Glaubens, ihrer politischen
Einstellung usw. sich anstrengen würden, diese Tugenden zu erlangen,
wäre die Welt zweifellos in einem besseren Zustand. Aus diesem Grund
kann und soll sich die Menschheit regenerieren. Dies setzt aber voraus,
dass sich jeder Mensch selbständig wiedererneuert, und dies auch
auf der moralischen Ebene.
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Was die Kunst betrifft, so denken wir, dass sie im
Verlauf des letzten Jahrhunderts begann, einen Weg der Intellektualisierung
einzuschlagen, der sie zu immer stärkerer Abstrahierung getrieben
hat. Dieser Prozess hat die Kunst in zwei gegensätzliche Strömungen
geteilt, in eine elitäre Kunst und in eine volkstümliche Kunst.
Dabei ist es die elitäre Kunst, die sich durch das Abstrakte ausdrückt,
dessen schwieriges Verständnis meistens auf diejenigen beschränkt
bleibt, die sich als Eingeweihte bezeichnen oder als solche betitelt werden.
Als natürliche Reaktion widersetzt sich die populäre moderne
Kunst dieser Strömung und untermauert ihre Anstrengungen, in der
Kunst das Konkrete, Körperliche zu übersetzen, zuweilen übermäßig
bildhaft. So widersprüchlich es auch erscheint, gleiten aber beide
Kunstrichtungen immer stärker ins Materielle ab, was der Tatsache
entspricht, dass sich Extreme berühren. Und so gibt sich die Kunst
in der inneren Gliederung und von der Idee her betont materialistisch
und gleicht darin den meisten Bereichen menschlicher Aktivität. In
unserer Zeit gibt die Kunst mehr den Pulsschlag des Ego wieder als das
Sehnen der Seele, was wir bedauern.
Wir glauben, dass wahrhaft inspirierte Kunst darin besteht, das Schöne
und die Reinheit der göttlichen Ebene auf der menschlichen Ebene
widerzuspiegeln. Bei diesem Verständnis kann Krach nicht Musik, Kleckserei
nicht Malerei, Zertrümmern nicht Skulptur und Abreagieren nicht Tanz
bedeuten. Falls es sich dabei nicht um Modeeffekte handelt, stehen Ausdrucksmittel
soziologischer Natur dahinter, und man täte falsch daran, diese außer
Acht zu lassen. Man kann solche Ausdrucksformen natürlich schätzen
mögen, doch scheint es uns unpassend, sie als künstlerisch zu
qualifizieren. Damit die Künste ihre Aufgabe wahrnehmen können,
an der Regeneration der Menschheit mitzuwirken, müssen sie ihre Inspiration
aus den Archetypen der Natur, des Universums und des Spirituellen schöpfen.
Dies bedingt, dass die Kunstschaffenden sich zu den Archetypen hin "erheben"
und sich nicht in die gewöhnlichen Stereotypen "versteigen"
sollten. Parallel dazu ist es unbedingt erforderlich, dass sich die Kunst
eine ästhetische Zweckbestimmung auferlegt. Dies sind für uns
die beiden Hauptbedingungen, die es in der Ausübung der Kunst zu
vereinen gilt, damit es derselben gelingt, zur Erhebung des Bewusstseins
beizutragen und so zum menschlichen Ausdruck der kosmischen Harmonie zu
werden.
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Was nun die Beziehungen des Menschen
zu seinesgleichen anbelangt, so denken wir, dass diese immer stärker
zweckgebunden werden und die Selbstlosigkeit immer mehr an die Wand drängen.
Bestimmt gibt es Zeichen von Solidarität. Doch kommt diesen meist
nur Gelegenheitscharakter zu, wie bei Katastrophen in Form von Überschwemmungen,
Unwettern, Erdbeben usw. Im Alltag überwiegt sonst das Verhalten
eines "Jeder für sich". Nach unserem Dafürhalten ist
die Zunahme von Individualismus eine weitere Konsequenz des übertriebenen
Materialismus, der gegenwärtig in der modernen Gesellschaft um sich
greift. Nichtsdestoweniger wird die dadurch entstandene Vereinsamung mit
der Zeit einer Sehnsucht und einem Bedürfnis Platz machen, zwischenmenschliche
Beziehungen wieder zu pflegen. Bis es soweit ist, wäre zu wünschen,
die Isolation könnte dazu beitragen, dass sich die Menschen vermehrt
ihrem eigenen Innern zuwenden, um sich so letztendlich der Geistigkeit
zu öffnen.
Die Ausdehnung der Gewalt scheint uns auch sehr Sorgen erregend. Gewiss
hat es sie immer gegeben, doch macht sie sich jetzt immer stärker
im individuellen Verhalten bemerkbar. Schlimmer noch tritt sie bei immer
jüngeren Menschen auf. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts tötet
ein Kind ein anderes, anscheinend ohne seelische Regung. Dieser Gewalttätigkeit
steht eine fiktive Gewalt gegenüber, welche ohne Unterlass über
die Leinwände der Kinos und Bildschirme von Fernsehern flimmert.
Die eine inspiriert die andere, und die andere gibt der einen Nahrung,
was zu einem Teufelskreis führt, dem es endlich einmal Einhalt zu
gebieten gilt. Es ist nicht abzustreiten, dass Gewalt verschiedene Ursachen
haben kann (soziale Armut, Zerfall der Familie, Rachegelüste, Herrschaftsanspruch,
ungerechte Behandlung). Der erste Beweggrund zur Auslösung von Gewaltanwendung
ist aber nichts anderes als Gewalttätigkeit um der Gewalt willen.
Es liegt auf der Hand, dass die Herstellung künstlicher Gewaltmittel
mit Bösartigkeit gepaart ist und allem Aufbauenden höhnt, zumal
erstmals in der uns bekannten Geschichte die Menschheit dazu fähig
ist, sich auf der irdischen Ebene selbst zu vernichten.
Im Widerspruch zu modernen Tendenzen stellen wir im Zeitalter der Kommunikation
fest, dass die Individuen untereinander kaum noch Umgang pflegen. Die
Mitglieder einer Familie führen kaum noch persönliche Gespräche
miteinander. Alle sind damit beschäftigt, Radio zu hören, Fernsehen
und Video zu schauen oder im Internet zu surfen. Das Gleiche gilt generell
für die Telekommunikation, die über die eigentliche Kommunikation
hinauswächst. Sie drängt das Individuum in eine große
Einsamkeit und verstärkt damit den Individualismus, von dem wir bereits
gesprochen haben. Man verstehe uns richtig: der Individualismus als natürliches
Recht, autonom und eigenverantwortlich zu leben, sei nicht in Frage gestellt,
ganz im Gegenteil. Wenn der Individualismus aber zu einer Lebensform verkommt,
die auf der Ablehnung des anderen beruht, erscheint uns dies bedenklich,
denn eine solche Einstellung trägt dazu bei, Familienbande sowie
das soziale Geflecht aufzulösen.
Wir denken, dass der derzeitige Mangel an Kontakt unter den Mitmenschen
teilweise auf den Überfluss an Informationen zurückgeht, so
widersprüchlich dies auch klingen mag. Das will natürlich nicht
heißen, dass die Verpflichtung zu informieren und das Recht informiert
zu werden, in Frage gestellt werden sollen, denn das eine wie das andere
sind Pfeiler jeglicher wirklichen Demokratie. Wir meinen aber, dass Information
jetzt übertrieben und überbordend gehandhabt wird, so dass sie
nun ihr Gegenteil erzeugt, die Desinformation. Auch bedauern wir, dass
sie sich dabei vor allem auf Widersprüchlichkeiten menschlicher Eigenart
konzentriert und mit Übergewicht gezielt negative Aspekte menschlichen
Verhaltens an den Pranger stellt. Damit nährt sie Pessimismus, Traurigkeit
und Verzweiflung, im schlimmsten Fall Argwohn, Zwist und Groll. Wenn es
auch rechtens ist aufzudecken, was in dieser Welt Anteil am Hässlichen
hat, so ist es doch legitim und im Interesse aller, das zu enthüllen,
was in dieser Welt das Schöne ausmacht. Die Welt braucht mehr denn
je Optimismus, Hoffnung und Einigkeit.
Das gegenseitige Verständnis von Mensch zu Mensch würde einen
namhaften Fortschritt bedeuten, bedeutsamer noch als aller Aufschwung
auf wissenschaftlicher und technologischer Ebene, den das 20. Jahrhundert
gekannt hat. Daher muss jede Gesellschaft das direkte Zusammentreffen
all ihrer Glieder fördern und sich gleichzeitig gegenüber der
Welt öffnen. In dieser Hinsicht unterstützen wir die Bildung
einer menschlichen Bruderschaft, in der jedes Individuum zu einem Weltbürger
wird. Das wird dazu führen, dass Benachteiligung oder Diskriminierung
auf rassistischer, ethnischer, sozialer, religiöser, politischer
Ebene und anderen verschwinden werden. Letztlich wird es darum gehen,
dahingehend zu wirken, dass eine Kultur des Friedens entstehen kann. Diese
wird dann ganz auf Integrierung und Zusammenwirken ausgerichtet sein.
Dafür haben sich die Rosenkreuzer seit jeher eingesetzt. Da die Menschheit
in ihrer Essenz einheitlich ist, kann sie auch nur glücklich werden,
wenn sie das Glück wirklich aller Menschen ohne Ausnahme fördert.
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Wenn wir nun auf das Verhältnis
des Menschen zur Natur zu sprechen kommen, denken wir, dass dieses insgesamt
noch nie so schlecht war wie heute. Wer will, kann beobachten, wie menschliche
Aktivität immer schlimmere und zerstörerische Folgen für
die Umwelt verursacht. Dabei ist es doch offensichtlich, dass das Überleben
der menschlichen Gattung von ihrem respektvollen Umgang mit der Natur
hinsichtlich der Erhaltung ihres Gleichgewichts abhängt. Die überwältigende
zivilisatorische Entfaltung hat aufgrund der biologischen Manipulation
von Nahrungsquellen, des Einsatzes von Einrichtungen und Techniken mit
nachhaltiger Umweltverschmutzung auf breiter Basis sowie der unbefriedigend
gelösten Lagerung von Atommüll, um nur ein paar bedeutende Risiken
zu erwähnen, unberechenbare Gefahren hervorgebracht. Der Schutz der
Natur, Gewährleistung für das Fortbestehen der Menschheit, ist
zum Thema aller Bürger geworden, nachdem sich zuvor nur die dafür
verantwortlichen Spezialisten damit beschäftigt hatten. Umweltschutz
ist jetzt ein Thema für die gesamte Erde. Das alles nimmt an Brisanz
noch zu, während sich die Vorstellung, was Natur überhaupt ist,
mittlerweile gewandelt hat. Der Mensch steht nun in einem Verhältnis
des Nehmens zu ihr: Man kann heute nicht mehr von der Natur als solcher
sprechen. In Zukunft wird die Natur das sein, was der Mensch will, was
sie sein soll.
Eines der typischen Kennzeichen der Gegenwart stellt der starke Energieverbrauch
dar. Dieses Phänomen an sich wäre nicht furchterregend, wenn
man hier überlegt vorgehen würde. Doch stellen wir fest, dass
die natürlichen Bodenschätze übermäßig ausgebeutet
werden. Kohle-, Erdgas- und Erdöl-Reserven gehen langsam, aber sicher
zur Neige. Andererseits bergen neuere Energiequellen wie Atomreaktoren
ein Gefahrenpotential, dem man bei einer Katastrophe noch kaum richtig
zu begegnen weiß. Auch beobachten wir, dass trotz bereits erfolgter
Anstrengungen noch keine durchgreifenden Maßnahmen in gegenseitiger
Übereinstimmung beschlossen werden konnten, und dies in Bereichen
wie dem Treibhauseffekt durch übertriebenen Ausstoß von Kohlendioxid,
der Waldrodung, der Wüstenausbreitung, der Meeresverschmutzung usw.
Der Grund hierfür liegt in mangelhaftem Willen. Nebst den Attacken
gegen die Umwelt, durch welche die Menschheit schwerwiegenden Gefahren
ausgesetzt wird, widerspiegelt dieses Verhalten ein erhebliches Maß
an Unreife, sei es nun kollektiv oder individuell. Wie dem auch sei, wir
denken, dass dieses Aus-den-Fugen-Geraten des Klimas mit seinen Unwettern,
Überschwemmungen usw. eine Folge zu langer, belastender Übergriffe
des Menschen auf unsere eigene Erde sein kann.
Eine andere schwerwiegende Aufgabe wird sich uns in Zukunft immer mehr
stellen: das Problem mit dem Wasser. Hier geht es um ein unentbehrliches
Element, um Leben zu erhalten und zu entwickeln. In der einen oder anderen
Form sind sämtliche Lebewesen darauf angewiesen. Auch der Mensch
ist davon nicht ausgeschlossen, besteht doch sein Körper zu 70 %
aus Wasser. Vom Zugang zu Süßwasser ist heute weltweit ein
Erdbewohner von sechs ausgegrenzt. Im nächsten halben Jahrhundert
droht sich das Verhältnis auf eine Person von vier zu verschlechtern.
Der Grund liegt am ständigen Wachstum der Weltbevölkerung sowie
an der laufenden Zunahme der Verschmutzung von Flüssen und Strömen.
Die Fachleute sind sich hier einig in der Aussage, dass das "weiße
Gold" - mehr noch als das "schwarze Gold" - zum Zankapfel
dieses Jahrhunderts werden wird, mit all seinen Konfliktrisiken, die so
etwas mit einschließt. Eine globale Bewusstwerdung dieses Problems
ist auch hier vonnöten.
Die Luftverschmutzung birgt sodann ebenfalls wichtige Gefahren für
das Leben im Allgemeinen sowie für die Menschen im Besonderen. Die
Industrie, das Heizen und der Verkehr tragen alle zur allgemeinen Verschlechterung
der Luftqualität bei, indem sie die Atmosphäre mit Schadstoffen
anreichern, was die Gesundheit der Bevölkerung belastet. Gerade städtische
Gebiete sind von diesem Phänomen am stärksten betroffen und
müssen in Kauf nehmen, dass diese Gefahr im Verhältnis zur kontinuierlichen
Ausweitung ihrer Randzonen noch wächst. Die ununterbrochene Ausdehnung
von Großstädten stellt eine nicht zu unterschätzende Gefährdung
für das Gleichgewicht der Gesellschaft dar. Dazu machen wir uns die
Ansicht von Platon zu Eigen, auf den wir uns bereits bezogen haben: "Bis
hin zum Punkt, wo sie, vergrößert, ihre Einheit bewahrt, kann
sich die Stadt weiter ausdehnen, aber nicht darüber hinaus."
Der Hang zum Kolossalen ist nicht in der Lage, den Humanismus in dem Sinne
zu fördern, wie wir Humanismus beschrieben haben. Gigantismus führt
im Innern von Großstädten unweigerlich zu Zerrüttung und
schürt das Unwohlsein sowie das Gefühl von Unsicherheit.
Das Verhalten des Menschen gegenüber Tieren gehört mit zu den
Beziehungen, die der Mensch zur Natur unterhält. Es ist seine Pflicht,
Tiere zu lieben und zu respektieren. Alle Lebewesen sind Teil der Lebenskette,
so wie sich diese auf Erden ergibt, und alle sind sie Agenten der Entwicklung.
Auf allen ihren Ebenen sind Tiere ebenfalls Träger der göttlichen
Seele und haben Anteil am Schöpferplan.
Wir gehen so weit zu erwägen, dass die in der Entwicklung am weitesten
fortgeschrittenen Tiere zukünftige Menschen im Werden sind. Aus all
diesen Überlegungen finden wir es niederträchtig, unter welchen
Bedingungen zahllose Tiere gezüchtet und geschlachtet werden. Operative
Eingriffe am lebenden Tier zu wissenschaftlichen Zwecken betrachten wir
als Barbarei. Ganz allgemein sind wir der Ansicht, dass die Fraternität
alle Wesen einschließen muss, die das Leben zur Welt gebracht hat.
In diesem Geist teilen wir die folgende Ansicht, welche
Pythagoras zugeschrieben wird: "Solange die Menschen fortfahren,
die Lebewesen geringerer Reiche ohne Reue zu vernichten, werden sie weder
Gesundheit noch Frieden kennen. Solange sie Tiere niedermetzeln, werden
sie sich untereinander töten. In Wirklichkeit wird der, welcher Mord
und Leid sät, nicht Freude und Liebe ernten."
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Was die Beziehungen des Menschen zum Universum
betrifft, denken wir, dass diese auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhen.
Da der Mensch ein Kind der Erde ist und die Erde ihrerseits ein Kind des
Universums, ist der Mensch also ein Kind des Universums. Und dergestalt
stammen die Atome, aus denen der menschliche Körper besteht, von
der Natur und finden sich auch am Ende des Weltalls wieder, was Astrophysiker
zur Aussage veranlasst, dass "der Mensch ein Kind der Sterne"
sei. Wenn nun aber der Mensch dem Universum gegenüber zu Dank verpflichtet
ist, dann verdankt das Universum dem Menschen ebenfalls viel, bestimmt
nicht seine Existenz, aber den Grund seiner Existenz. Denn was wäre
das Universum schon, wenn es die Augen des Menschen nicht bewundern könnten,
wenn es sein Bewusstsein nicht erfassen könnte, wenn sich seine Seele
nicht in ihm widerspiegeln könnte? In Wirklichkeit brauchen Universum
und Mensch einander, um sich zu erkennen und sogar, um sich wieder zu
erkennen. Dies führt unweigerlich zu dem geflügelten Wort: "Erkenne
dich selbst und du wirst das Universum und Gott erkennen. "
Man darf hier nicht zur Schlussfolgerung neigen, dass unsere Anschauung
dessen, was Schöpfung ist, den Menschen in deren Mittelpunkt stellen
will. Es ist nicht unsere Absicht, aus dem Menschen das Zentrum des göttlichen
Plans zu machen. Vielmehr ist es unser Ziel, aus der Menschheit das Zentrum
unserer geistigen Inanspruchnahme zu bilden. Nach unserem Dafürhalten
ist die Gegenwart des Menschen auf Erden nicht das Resultat eines zufälligen
Zusammentreffens bestimmter Gegebenheiten und Umstände. Die Existenz
des Menschen ist das gezielte Ergebnis einer Absicht, die ihren Ursprung
in dieser universalen Intelligenz findet, die man allgemein mit "Gott"
bezeichnet. Wenn auch Gott in seiner unermesslichen Überlegenheit
nicht mehr begreifbar und intellektuell unverständlich ist, gilt
dies doch keineswegs in Bezug auf die Gesetze, mittels derer Er sich in
der Schöpfung manifestiert. Wie schon erwähnt, hat der Mensch
das Vermögen und die Pflicht, diese Gesetze zu studieren und sie
zu seinem eigenen materiellen und geistigen Wohle anzuwenden. Wir denken
sogar, dass in diesem Studium und dessen Anwendung nicht nur der Sinn
seines Daseins beruht, sondern auch sein Glück.
Das Verhältnis des Menschen zum Universum wirft nun die Frage auf,
ob denn Leben auch außerhalb der Erde existiere. Davon sind wir
überzeugt. Wenn wir davon ausgehen, dass das Universum ungefähr
hundert Milliarden Galaxien zählt und dass eine einzelne Galaxie
im Durchschnitt etwa hundert Milliarden Sterne aufweist, gibt es Millionen
von Sonnensystemen, die sich mit unserem vergleichen lassen. Wenn nun
jemand daraus die Konsequenz zieht, dass im ganzen Weltall einzig unser
Planet bewohnt sei, dann scheint uns dies absurd und egozentrisch zu sein.
Unter den Erscheinungsformen des Lebens auf anderen Planeten gibt es möglicherweise
solche, die weiter entwickelt sind als jene auf unserer Erde, andere hingegen
sind es weniger. Doch bilden sie alle einen Teil desselben göttlichen
Schöpferplans und sind in der kosmischen Entwicklung eingebunden.
Was die Frage angeht, ob Außerirdische in der Lage wären, mit
unserer Menschheit in Kontakt zu treten, denken wir, dass dies möglich
ist, doch setzen wir darauf keine Erwartungen. Wir haben andere Prioritäten.
Der Tag jedenfalls, an dem ein solcher Kontakt zustande kommt, wird ein
Ereignis ohnegleichen sein. Dann wird die Geschichte der Menschheit mit
derjenigen des universalen Lebens verschmelzen ...
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EPILOG
Liebe Leserin,
lieber Leser!
Dies ist es nun, was wir Ihnen durch dieses Manifest bekannt zu geben
wünschten. Ist es Ihnen vielleicht beunruhigend vorgekommen? Seien
Sie in diesem Falle dennoch versichert, dass wir, gestützt auf unsere
Philosophie, durch Idealismus und Optimismus geprägt sind. Und so
setzen wir unser ganzes Vertrauen in den Menschen und sein Schicksal.
Wenn man in Betracht zieht, was der Mensch alles an Nützlichem und
Schönem geschaffen hat auf den Gebieten der Wissenschaft, Technologie,
Architektur, Kunst, Literatur sowie in weiteren Bereichen, und wenn man
über die noblen Gefühle nachdenkt, die er empfinden und zum
Ausdruck bringen kann, wie Mitgefühl und Liebe, dann kann man nicht
daran zweifeln, dass der Mensch in seinem Innern etwas Göttliches
besitzt und dass es ihm so gelingt, über sich hinauszuwachsen und
Gutes zu vollbringen. Dabei denken wir, selbst auf das Risiko hin, utopisch
ausgerichtet zu erscheinen, dass der Mensch die Macht besitzt, aus der
Erde einen Ort des Friedens, der Harmonie und der Brüderlichkeit
zu gestalten. Dies hängt ganz alleine nur von ihm selbst ab.
Die gegenwärtige Weltsituation ist nicht verzweifelt, aber sie ist
bestimmt beunruhigend. Was uns am meisten beschäftigt, ist nicht
der Zustand der Menschheit, sondern vielmehr derjenige unseres Planeten.
Wir denken in der Tat, dass die Zeit für die geistige Entfaltung
des Menschen keineswegs schon abgelaufen ist, denn weil seine Seele unsterblich
ist, gibt es eine Art Ewigkeit, um die menschliche Entwicklung zu einem
guten Ende zu bringen. Andererseits aber ist die Erde mittelfristig wirklich
bedroht, zumindest was den Lebensrahmen für die menschliche Spezies
anbelangt. Die Zeit neigt sich für sie ihrem Ende zu, und wir denken,
dass die Erhaltung der Erde die zentrale Aufforderung für den Menschen
des 21. Jahrhunderts sein wird. Dieser Aufforderung werden sich Politik,
Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und ganz allgemein sämtliche
Gebiete menschlicher Aktivität stellen müssen. Ist es denn so
schwierig einzusehen, dass die ganze Menschheit ihr Glück nur finden
kann, wenn sie in Einklang mit den Gesetzen der Natur lebt und darüber
hinaus in Einklang mit den göttlichen Gesetzen? Und ist es denn andererseits
so vernunftwidrig, sich einzugestehen, dass sie die Mittel hat, im eigenen
Interesse über sich selbst hinauszuwachsen? Wie dem auch sei, falls
sich die Menschen weiterhin auf ihren derzeitigen Materialismus versteifen,
werden sich die schwärzesten Untergangsprophezeiungen erfüllen,
und niemand wird davon verschont bleiben.
Lassen wir die politischen Ideen beiseite und auch die religiösen
Glaubensbekenntnisse sowie die philosophischen Standpunkte eines jeden
Einzelnen. Die Zeiten stehen nicht mehr auf Teilung, welcher Art auch
immer, sondern auf Zusammenschluss, Zusammenführen von Unterschieden
im Dienste des Gemeinwohls. Hierin vereinigt unsere Fraternität in
ihren Rängen Christen, Juden, Muselmanen, Buddhisten, Hinduisten,
Animisten und sogar Agnostiker. Sie vereinigt aber auch Personen, die
allen sozialen Klassen angehören und alle klassischen politischen
Strömungen vertreten. Männer und Frauen besitzen hier den Status
totaler Gleichstellung, und jedes Mitglied hat Anspruch auf dieselben
Vorrechte. Diese Einheit in der Verschiedenartigkeit ist es gerade, welche
die Kraft unseres Ideals und unseres Egregors ausmacht. Wenn dem so ist,
dann deshalb, weil die von uns am meisten gepflegte Tugend Toleranz heißt,
die eben das Recht auf Verschiedenartigkeit bedeutet. Dies allein macht
aus uns noch keine Weisen, weil die Weisheit noch weit mehr Tugenden als
diese eine umspannt. Wir betrachten uns eher als Philosophen, was wörtlich
die Weisheitliebenden bedeutet.
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Bevor wir diese Positio versiegeln, was ihr das Erkennungsmerkmal
unserer Bruderschaft verleihen wird, möchten wir sie mit einer Anrufung
abschließen, die das zum Ausdruck bringt, was wir mit Rosenkreuzer-Utopie
bezeichnen möchten, im platonischen Sinn dieser Bezeichnung. Dabei
appellieren wir an den guten Willen aller und jedes Einzelnen, damit diese
Utopie eines Tages zum größten Wohl für die Menschheit
zur Wirklichkeit werde. Vielleicht wird dieser Tag nie kommen, doch wenn
sich alle Menschen guten Willens anstrengen, daran zu glauben und entsprechend
zu handeln, dann kann die Welt nur besser werden ...
Rosenkreuzer-Utopie
Gott aller Menschen,
Gott allen Lebens,
In der Menschheit, von der wir träumen,
Sind die Politiker zutiefst humanistisch und wirken im Dienst des Allgemeinwohls,
Verwalten die Verantwortlichen für Wirtschaft und Finanzen die Staatsvermögen
mit Umsicht und im Interesse aller,
Sind die Wissenschaftler vergeistigt und schöpfen ihre Eingebungen
aus dem Buch der Natur,
Sind die Künstler inspiriert und drücken in ihren Werken die
Schönheit und Reinheit des Schöpferplanes aus,
Sind die Ärzte von der Liebe zum Nächsten durchdrungen und pflegen
ebenso sehr die Seelen wie die Körper,
Wird es weder Elend noch Armut geben, denn jeder bekommt, dessen er bedarf,
um glücklich zu leben,
Wird die Arbeit nicht mehr als Zwang erduldet, sondern vielmehr als Quell
zur Entfaltung und des Wohlseins empfunden,
Wird die Natur als der schönste Tempel überhaupt erkannt und
die Tiere als unsere Geschwister auf dem Weg ihrer Entwicklung,
Gibt es eine Weltregierung, die sich aus den Regierenden aller Nationen
zusammensetzt und im Interesse der ganzen Menschheit walten wird,
Ist die Spiritualität ein Ideal und eine Lebensform, die aus einer
Weltreligion schöpft, welche mehr auf der Kenntnis göttlicher
Gesetze aufbaut als auf Gottesglauben,
Sind die menschlichen Beziehungen in der Liebe, Freundschaft und Brüderlichkeit
begründet, so dass die Welt in Frieden und Harmonie lebt.
So möge es sein!
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